1. Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) appelliert an alle Bürger*innen der EU, ihr Wahlrecht zum Europäischen Parlament zu nutzen und durch eine hohe Wahlbeteiligung, insbesondere auch von Frauen, die Rolle des Europäischen Parlaments als Vorreiter bei der Geschlechtergleichstellung anzuerkennen und zu stärken. Die Gefahr, dass rechtsextreme, nicht auf dem Boden der europäischen, demokratischen Prinzipien stehende Parteien im Europäischen Parlament Zuwachs gewinnen, ist real. Damit würden weitere notwendige Fortschritte für eine nachhaltige europäische Gleichstellungspolitik verhindert. Umso mehr liegt es an uns, unser Wahlrecht auszuüben und am 9. Juni 2024 unsere Europaabgeordneten zu wählen. Wir dürfen die demokratische Teilhabe an der Europäischen Union nicht anderen überlassen.
  2. Durch eine hohe Wahlbeteiligung von Frauen zeigen wir, dass wir gleichberechtigt mitwirken und die große Bedeutung des Engagements des Europäischen Parlaments für intersektionale Gleichstellung in der Europäischen Union besonders in Zeiten einer lebhaften Wertediskussion anerkennen.
  3. Ein demokratisches, gerechtes und solidarisches Europa braucht ein starkes Europäisches Parlament, in dem alle Geschlechter angemessenvertreten sind. So stellen Frauen mehr als die Hälfte der Bevölkerung Europas, was sich im bisherigen Europäischen Parlament nicht widergespiegelt hat. Unsere Abgeordneten im Europäischen Parlament sollen auch zur Hälfte Frauen sein sowie insgesamt die Vielfalt der in Europa lebenden Menschen widerspiegeln.
  4. Erstwähler*innen (ab 16!) vergesst nicht, dass wir bei unserer Entwicklung zu selbstbestimmten, wirtschaftlich unabhängigen und verantwortlichen Menschen vom Einsatz des Europäischen Parlaments für fortschrittliche Politikgestaltung profitieren. Nicht nur die Freizügigkeit in der Europäischen Union, die Anerkennung von Schul- und Studienabschlüssen, und die Erasmus-Programme gilt es zu bewahren und weiterzuentwickelnAuch das Engagement des Europäischen Parlaments für einen nachhaltigen Ressourcenumgang - weg von der Wegwerfgesellschaft (z.B. das Recht auf Reparatur) - ist zukunftsweisend.
  5. Das Europäische Parlament soll weiter als Garant und Motor für Antidiskriminierung und die Gleichstellung der Geschlechter entsprechende Vorhaben engagiert fortführen. Dafür bieten die europäischen Verträge und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ein solides Fundament. Das Europäische Parlament steht auch hier in der Verantwortung.
  6. Das Europäische Parlament als Mitgesetzgeber auf Augenhöhe mit den Regierungen der Mitgliedstaaten im Rat hat sich als unermüdlicher Mahner und Verfechter von zahlreichen Gesetzgebungsvorhaben und Projekten zur Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung profiliert. Die Teilerfolge müssen insbesondere mit folgenden Zielen für alle Europäer*innen fortentwickelt werden:
    • die wirtschaftliche Unabhängigkeit, einschließlich des gleichen Entgelts aller Geschlechter und einer geschlechtergerechten Steuerpolitik;
    • Gerechtigkeit in der Alterssicherung, insbesondere zur Bekämpfung der Altersarmut (gender pension gap);
    • Gerechtigkeit bei der Pflege (gender care gap), einschließlich fairer und geregelter Arbeitsbedingungen auf dem europäischen Pflegemarkt;
    • gleiche Teilhabe in allen Lebensbereichen, auf dem Arbeitsmarkt und in Entscheidungspositionen in Politik und Wirtschaft,
    • die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben, unter anderem durch verpflichtende Elterngeldmonate, Pflege- und Väterzeiten,
    • aktive und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der digitalen Welt (digital gender gap und female data gap)sowie
    • die Absicherung der reproduktiven Rechte.
  7. Das Europäische Parlament ruft nachdrücklich zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt auf. Die Verabschiedung der Gewaltschutzrichtlinie ist ein großer Schritt zur effektiven Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, insbesondere im Bereich der Cyber-Delikte. Trotzdem fehlt die europaweite Harmonisierung des Vergewaltigungsdelikts.  Dies muss nachgeholt werden, das Europäische Parlament ist hierbei ein natürlicher Verbündeter. Zusätzlich ist die Ratifikation der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) durch die EU ein Erfolg, der die Umsetzung europaweit erleichtern wird.
  8. Ohne das Europäische Parlament kann der EU-Haushalt nicht verabschiedet werden. Dabei achtet das Europäische Parlament auf Gender Budgeting und Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe. Ein Zuwachs rechtsextremer Parteien im Europäischen Parlament würde die Gefahr von Kürzungen im Bereich Antidiskriminierung und Gleichstellung erhöhen. Das muss verhindert werden.
  9. Das Europäische Parlament hat sich immer für eine Europäische Außen- und Sicherheitspolitik, welche die Teilhabe, den Schutz und die Rechte von Frauen in bewaffneten Konflikten anerkennt, eingesetzt. Die Europäische Union muss vor dem Hintergrund aktueller geopolitischer Konflikte ihrer Verantwortung als Friedensprojekt gerecht werden. Ein den Grundwerten und Prinzipien der EU verpflichtetes Europäisches Parlament ist dafür unerlässlich. Wichtige Elemente dabei sind eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik sowie eine Politik, die Klima und Umwelt eine zentrale Bedeutung zumisst.

 Appell als PDF: Berlin, 8 (djb.de)